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Mevlüt Çavuşoglu, Minister

Foto: APA/EPA/Christodoulou

Der erste Bericht zum Fortgang des EU-Beitritts seines Landes, den er zu verantworten hat, beginnt mit einer mutigen Behauptung: „Bedeutende Fortschritte“ im Bereich der Justiz und der Grundrechte seien 2013 erreicht worden, heißt es im Rapport, den der neue türkischen EU-Minister Mevlüt Çavuşoglu Ende Dezember vorstellte. (s. download-link)

Das muss selbst Parteifreunde wie den türkischen Parlamentspräsidenten wundern, der dieser Tage angesichts der Gängelung von Staatsanwälten und Polizeichefs durch Tayyip Erdogan, dem Regierungschef, das Ende der unabhängigen Justiz im Land beklagte.

Doch Çavuşoglu ist wie seine Ministerkollegen in Erdogans Krisenkabinett zur Abwehr der Korruptionsvorwürfe ein treuer Mann des Premiers: Gründungsmitglied der konservativ-religiösen AKP und Parlamentsabgeordneter der Partei aus Antalya seit 2002, dem Jahr der Regierungsübernahme. EU-Politiker und Kommission mögen ihre Worte sorgfältiger wählen, schoss der 45-Jährige zurück, als während der Weihnachtstage Kritik aus Brüssel an Erdogans Umgang mit den Korruptionsermittlungen kam. Keine "einseitigen und ungeduldigen Erklärungen" bitte, erklärte er vergangene Woche, als Erdogans Justizminister begann seinen Gesetzentwurf für die Kontrolle des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte (HSYK) ins Parlament geschickt hatte. Niemand solle sich Sorgen über die Verpflichtung der Türkei gegenüber dem Prinzip des Rechtsstaats machen, twitterte der neue Europaminister (@MevlutCavusoglu).

Çavuşoglu löste bei der großen Regierungsumbildung im Vormonat Egemen Bagiş ab. Der hatte über die Jahre durch polemisch-populistische Kommentare („Wir brauchen die EU nicht. Wir können ihr auch sagen: Zieh Leine!“) seine Glaubwürdigkeit in Brüssel verloren und ist nun mit Bestechungsvorwürfen belastet. Anders als sein Vorgänger hat Çavuşoglu als diplomatisch agierender Politiker gewisse Bekanntheit erlangt. Von 2010 bis 2012 war er Präsident der parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg – der erste Türke in diesem Amt seit dem Beitritt des Landes 1949. Das palästinensische Parlament im Westjordanland erhielt während Çavuşoglus Präsidentschaft den Status des "Partners für Demokratie", einer engeren Kooperationsform des Europarats ("Rule 60"), der Parlamentsvertretern einen Beobachterstatus in Straßburg gibt. Suat Kiniklioglu, ein ehemaliger AKP-Abgeordneter und Außenpolitiker der Partei, beschreibt den früheren Europaratspräsidenten als "gewieft" und als sehr geschickt im networking.

Erdogan hätte ebenso einem sperrigen, kontroversen Politiker seiner Parlamentsfraktion das EU-Ressort geben können. Çavuşoglus Ernennung ist so gesehen auch ein Signal an Brüssel: Ruhe und Fortsetzung des Beitrittskurses in einer Phase großer innenpolitischer Spannung und Weichen stellender Wahlen in der Türkei; Erdogan will im August Staatschef werden; am 30. März sind die Kommunalwahlen, vorgezogene Parlamentswahlen gelten auch als denkbares Szenario.

Çavuşoglu studierte Wirtschaft an der London School of Economics und in den USA. Als außenpolitischer Parteisprecher verteidigte er zuletzt den Wechsel der AKP auf europäischer Ebene vom bürgerlich-konservativen „Christenklub“ EVP zur Partei der Euroskeptiker des britischen Premiers David Cameron (AEKR). Kein Richtungswechsel, versicherte er. Erdogan hatte es so entschieden. (derStandard.at, 14.1.2014)